Kreativitätstechniken: Es gibt mehr als Brainstorming

  • von Alexander S. Krippahl

Der Autor des Gastbeitrages

Alexander S. Krippahl ist Art Director bei der Internetagentur KM2 >> netz:innovationen.gmbh aus Düsseldorf.

Gastbeitrag_Kreativitätstechniken Als Webworker ist man ständig auf der Suche nach neuen Ideen. Wer tagtäglich zündende Einfälle und Konzepte produzieren muss, der weiß: das Bild des entspannten Genies, das dasitzt und auf den Kuss der Muse wartet, hat nicht viel mit der Wirklichkeit gemein. Ideen auf Knopfdruck zu produzieren ist vor allem eins: harte Arbeit.

Es existieren viele Techniken, um die Ideenfindung in Schwung zu bringen. Viele von ihnen sind nur wenig bekannt und fristen ein Schattendasein – zu unrecht. Denn ihre Einsatzmöglichkeiten sind fast unbeschränkt; die meisten lassen sich innerhalb des gesamten Projektverlaufs einsetzen: Konzeption, Angebotserstellung, Layout, Umsetzung. Die Schere im Kopf »das ist Gestaltung, das ist kreativ – das ist Entwicklung, das ist nicht kreativ« verschenkt Unmengen des eigenen Potentials.

Wer hofft, in diesem Artikel ein Patentrezept für gute Ideen zu finden, wird enttäuscht: Ein solches Rezept gibt es nicht. Kreativitätstechniken sind Werkzeuge, die helfen können, aber vieles hängt von der eigenen Stimmung und Einstellung der Beteiligten zum Projekt selbst ab.

Fast alle Kreativitätstechniken setzen auf den gleichen Ablauf:

  • Idee komprimieren: Logline finden
  • Die geeignete Methode wählen
  • Anfangen
  • Dokumentieren
  • Auswerten
  • Machbarkeit
  • Kritik

circle

Voraussetzung 1: Das Problem atomisieren

Bevor es losgeht, muss man erst einmal sein Problem kennen. Das klingt nach einer abgedroschenen Glückskeks-Weisheit, doch häufig hakt es genau an diesem Punkt. Dann kann es helfen, das Problem zu einem simplen Satz zu komprimieren: Die Logline.

Das Konzept der Logline stammt ursprünglich aus dem Repertoire der Drehbuchautoren. Dort soll es helfen, die Geschichte eines Films zu umspannen und die Handlung »eng« zu halten. Bei allgemeiner Ideenfindung dient sie dazu, die eigenen Gedanken zu bündeln und mit anderen über das gleiche Problem sprechen zu können.

Bei der Logline gilt: So kurz wie eben möglich, so präzise wie gerade nötig.

Eine gute Logline zu finden ist nicht einfach. Sie ist kein starres, unbewegliches Konstrukt, sondern Wegweiser innerhalb des Findungsprozesses. Merkt man bei der Suche, dass die Logline nicht passt: Ändern!

Ist man unsicher, hilft es zu fragen: Ist alles gesagt? Sage ich mit ihr zu viel? Versteht man das Problem? Was könnte man noch weglassen? Mit etwas Erfahrung spürt man intuitiv, ob eine Logline funktioniert.

Voraussetzung 2: Dokumentiere! Egal wie!

Die beste Technik bringt nichts, wenn die einzelnen Denkschritte und Ideen nicht dokumentiert werden. Innerhalb der Findungsphase kann (und soll) gar nicht bewertet werden, ob eine Idee gut oder verwendbar ist.

Bei der Dokumentation gilt: Alle Mittel sind erlaubt. Notizblock, Whiteboard, Diktiergerät, Videokamera – ganz egal! Hauptsache die Ideen werden festgehalten und sind später auch verfügbar!

Der (überschätzte) Klassiker: Brainstorming

Die wohl bekannteste Technik ist das Brainstorming. Seit seiner Erfindung hat es wie keine andere Kreativitätstechnik Einzug in den Mainstream gehalten. »Dann lass’ uns mal brainstormen!« ist zum Synonym für gemeinsames Nachdenken geworden. Das Vorgehen bei Brainstorming ist einfach: In der Gruppe werden spontan Ideen und Lösungen genannt die den Beteiligten in den Sinn kommen. Dabei gelten für alle folgende Grundsätze:

  • Kritik ist absolut tabu.
  • Eine Idee ist gut. Viele Ideen sind besser.
  • Ergänze und vervollständige genannte Ideen.
  • Auch verrückte Ideen sind willkommen.

Obwohl so verbreitet, ist Brainstorming eher eine Technik für Fortgeschrittene: Das laut(stark)e Denken in Gruppen kann schüchterne Team-Mitglieder in den Hintergrund drängen, oder gute Ideen werden überhört – im schlimmsten Fall sogar direkt kaputt-kritisiert. Sich in der Hitze des »Gefechts« nicht ins Wort zu fallen erfordert Übung, Disziplin und intakte Gesprächskultur. Ein weiterer Nachteil: Brainstorming funktioniert nur in größeren Gruppen wirklich gut.

Doch es gibt noch unzählige weitere Techniken: Hier einige weniger bekannte, die beim Webdesign hilfreich sein können.

6-5-3: Alle sind dabei

Kaum bekannt, aber ein echter Klassiker, der schnell eine große Anzahl von Ideen produzieren kann. Der eigentümliche Name beschreibt das Verfahren recht gut: 6 Teilnehmer produzieren alle 5 Minuten 3 Ideen. Dafür bekommen alle Teilnehmer ein großes Blatt Papier. Dieses wird in 3 Reihen und 6 Spalten eingeteilt. Jeder Teilnehmer soll drei Ideen zur Problemstellung aufschreiben. Nach fünf Minuten werden die Blätter reihum weitergegeben. Jetzt gilt es, die Ideen der Vordenker aufzugreifen und zu verfeinern.

653

Kann man auf die Kreativität eines ganzen Teams zurückgreifen, bietet die 6-5-3 Methode eine Menge Vorteile: Direkte Dokumentation, auch »schüchterne« Teammitglieder kommen zu Wort und die große Anzahl (3*6*6 = 108) an generierten Ideen in kürzester Zeit.

Kopfstand: Sieh doch mal alles negativ

Kommt man partout nicht weiter, kann es helfen, über das genaue Gegenteil des Problems nachzudenken. Die umgekehrte Sichtweise kann völlig neue Einblicke auf das Problem verschaffen.

Die Kopfstandtechnik bringt hervorragende Ergebnisse, wenn die Problemstellung unscharf ist und genug Raum lässt, auch außergewöhnliche Lösungen zu erlauben. Bei zu konkreten Problemstellungen läuft die Umkehrung meist ins Leere und führt nur zu lächerlichen, absurden oder selbstverständlichen Ideen.

Dennoch ist der Kopfstand eine schnelle und einfache Technik, die auch ohne großes Team eingesetzt werden kann.

Zufall: Muster im Rauschen sehen

Zufall kann ein großartiger Impulsgeber für Ideen sein. Vor allem dann, wenn das Problemfeld weit gefasst ist und man die Lösungen in neue, unausgetretene Gefilde lenken will.

Bei der Technik dienen zufällige Eindrücke als Zündfunken für freie Assoziation. Dabei geht es nicht darum, sich zufälligen Inhalt anzusehen und auf eine gute Idee zu warten. Vielmehr werden zufällige Informationen wie Bilder, Wörter, Klänge durch aktives Fragen in Beziehung gesetzt. Klingt merkwürdig und fühlt sich bei den ersten Versuchen auch so an.

Das Bild eines Schmetterlings könnte beispielsweise zu Fragen wie »Welches Tier wäre unser Produkt?« oder »Was wäre, wenn unsere Website fliegen könnte?« führen.

Gerade das Web bietet dafür eine unerschöpfliche Quelle an Impulsgebern: Mussten vor einigen Jahren noch Bildbände und Brockhaus bemüht werden, hat man heute Flickr, Assoziations-blaster, OpenThesaurus oder Wikipedia in direkter Reichweite.

Die Zufallstechnik kann sowohl in Gruppen als auch alleine eingesetzt werden. Durch geschickte Auswahl der Inputquellen kann der Lösungsweg sachte in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Für die Dokumentation bietet sich Mindmapping an: Ausgehend von der Fragestellung werden die einzelnen Ideensplitter im Kreis angeordnet.

Card Sorting: Crowdsourcing für Arme

Im Web- und Interfacedesign spielt Wording und Struktur eine immense Rolle. Es entscheidet darüber, ob Benutzer Funktionen, Inhalte und Informationen schnell finden und erfassen können – Hypertext lebt von verständlichen Begriffen und nachvollziehbarer Struktur. Um diese schnell zu finden, bietet sich das Card Sorting Verfahren an. Dabei werden kleine Karten als Werkzeug genutzt, die die Strukturelemente einer Anwendung oder einer Website darstellen. Bei einer Anwendung können sie beispielsweise die einzelnen Funktionen repräsentieren, innerhalb einer Website einzelne Dokumente und Kategorien.

Unabhängig voneinander sortieren die Teilnehmer der Sitzung die Kärtchen in für sie schlüssige Gruppen. Die Namen dieser Gruppen werden von den Teilnehmern eigenständig vergeben. Von jedem der Sortiervorgänge wird eine Abschrift oder ein Foto gemacht.

Nach der Sortierung erfolgt die gemeinsame Auswertung: Gibt es Gemeinsamkeiten? Wurden die Gruppen ähnlich oder gleich benannt?

Am deutlichsten spiegelt sich der Massengeschmack in der Sortierung mit der höchsten Verbreitung wieder, allerdings muss dies nicht zwangsweise die beste Lösung sein. Eher wird Card Sorting zu einem Extrakt des Massengeschmacks führen und keine bahnbrechend neuen Dinge schaffen, dafür kann es aber die Allgemeinverständlichkeit einer Struktur gewährleisten.

Der große Nachteil beim Card Sorting ist, dass man eine große Anzahl von Beteiligten braucht, um zu einem massentauglichen Ergebnis zu kommen. Außerdem empfiehlt es sich, seine Testpersonen nah an der eigentlichen Zielgruppe auszuwählen.

Mayday! Es funktioniert einfach nicht!

Abschließend einige Tipps, wenn der Funkenflug partout nicht eintreten will und man allen Bemühungen zum Trotz auf der Stelle tritt:

Ruhig bleiben – ja, leichter gesagt als getan. Aber mit dem permanentem Gedanken im Kopf, dass man in vier Stunden etwas total Geniales abgeben muss, verkrampft man nur unnötig. Dir ist bis jetzt immer etwas eingefallen, es wird dieses Mal auch funktionieren.

Raus gehen. Ein kurzer Spaziergang, neue Eindrücke, frische Luft: Das kann viel bewegen. Die Natur bietet uns einen unendlichen Fundus an Formen, Funktionen und Konzepten, die nur darauf warten entdeckt und adaptiert zu werden.

Du hast alle Zeit der Welt. Entspanne Dich. Eine Blockade trifft auch den härtesten Art Director. Zeitdruck kannst Du mit einem simplen Zauberwort in seine Schranken weisen: Nachtschicht. Zugegeben, keine schöne Sache, aber manchmal reicht schon der Gedanke an ein zusätzliches Zeitpolster um sich entspannen und das Problem mit neuem Schwung angehen zu können.

Ich hab es! Jetzt geht es ihnen an den Kragen

Fertig? Das Notizbuch ist gefüllt? Die Ideen sind auf die Welt gekommen? Glückwunsch! Das Gefühl, Ideen produziert zu haben, ist großartig und im Glückstaumel erscheinen einem die eigenen Ideen als das Beste seit der Erfindung des geschnittenen Brotes. In der Euphorie kann man leicht dazu neigen, die eigenen Ideen als »Kinder« zu betrachten und beschützen zu wollen. In dieser Beschützerrolle wird auch konstruktive Kritik als Angriff verstanden und direkt abgeblockt. Dabei ist Kritik der Nährstoff für gute Ideen!

Walt Disney, einer der Pioniere in Sachen Kreativität, erkannte früh, wie wichtig gute Kritik für die Ideenfindung ist – allerdings Kritik zum richtigen Zeitpunkt.

Er ersann einen Lebenszyklus für Ideen. Drei Stationen sollten seiner Meinung nach Ideen durchlaufen: Träumen, Realismus, Kritik. Er soll für alle Stationen unterschiedliche Räume geschaffen haben. Fürs Träumen begaben sich Zeichner und Schreiber in einen gemütlichen Raum, es herrschte eine ausgelassene Stimmung, Getränke wurden gereicht und jede Idee konnte geäußert werden, egal wie verrückt oder abgehoben. Ideen, die hier entstanden, wurden in der nächsten Station, einem nüchternem Raum, auf ihre Umsetzbarkeit geprüft. War eine Idee machbar, ging es in den letzten Raum: The sweat box, ein kleiner Raum, angeblich unter einer Treppe, in dem das Team ein Projekt kritisch durchleuchten und kritisieren konnte.

Disney hat mit seinem Ansatz erkannt, dass es nicht nur darum geht, Ideen abzuliefern. Gute Ideen sollten unser aller Ziel sein. Gute Kritik zur rechten Zeit trennt die Spreu vom Weizen.

Gastbeiträge

Nicht nur Alexander hat die Möglichkeit, hier Gastbeiträge zu veröffentlichen. Jeder der interessiert ist, kann mir gerne eine E-Mail schreiben. Weitere Details zum Thema Gastbeiträge findet ihr hier.

20 Kommentare

  1. WordPress › Fehler

    Es gab einen kritischen Fehler auf deiner Website.

    Erfahre mehr über die Problembehandlung in WordPress.